Produktion – Distribution – Ökonomie. Siedlungs- und Wirtschaftsmuster der Latènezeit

Produktion – Distribution – Ökonomie. Siedlungs- und Wirtschaftsmuster der Latènezeit

Organisatoren
Institut für Vor- und Frühgeschichte der Johannes Gutenberg-Universität Mainz; Gemeinde Nonnweiler
Ort
Otzenhausen
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.11.2011 - 30.11.2011
Url der Konferenzwebsite
Von
Doreen Mölders, Lehrstuhl für Ur- und Frühgeschichte, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Wirtschaftsarchäologie – a hot potato?

Am Anfang einer Bilanz außer Kontrolle geratener Spekulationsmärkte stand die Hypothekenkrise, gefolgt von insolventen Banken, bankrotten Staaten und politischen Debatten, wie viel Staat eine neoliberale Wirtschaft verträgt. Währenddessen bildeten sich Occupy-Bewegungen, deren Mitglieder in den Bankenvierteln von New York, London und Frankfurt a. M. ihre Zelte aufstellten, um gegen zu mächtige Investmentbanker und zu schwache staatliche Kontrollmechanismen zu demonstrieren. In Talkshows wurde zur besten Sendezeit über nachhaltiges und sozial verträgliches Wirtschaften diskutiert, über ein Thema also, mit dem noch vor zehn Jahren wohl kaum hohe Einschaltquoten erreicht worden wären. Wirtschaft ist in aller Munde und wird zunehmend auch außerhalb wirtschaftswissenschaftlicher, realwirtschaftlicher und politischer Spezialdiskurse verstärkt als Thema aufgegriffen. So hatten auch das Institut für Vor- und Frühgeschichte der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und die Gemeinde Nonnweiler Ende Oktober zu einer Tagung in die Europäische Akademie Otzenhausen (Saarland) eingeladen, um über Siedlungs- und Wirtschaftsmuster der Latènezeit zu sprechen und waren mit ihrer Themenwahl somit aktueller denn je. Konkret wurde eine „synthetische Betrachtung sozio-kultureller Entwicklungen auf überregionaler Ebene“ angestrebt, die von „archäologischen und interdisziplinären Vorträgen zu konkreten Beispielen früher Umwelt- und Ressourcennutzung, exemplarisch vorgestellten Kulturlandschaften oder Materialgruppen […] vor dem Hintergrund räumlicher oder sozialer Strukturen“ getragen werden sollte.1 Mit diesem Ziel wollten die Organisatoren inhaltlich an das Internationale Kolloquium „Wirtschaftsarchäologie im ostkeltischen Raum“ 1998 in Hallein/Bad Dürrnberg anschließen2, das Forschungsspektrum mit einem Fokus auf die französische Latènekulturforschung aber noch erweitern. Ein hoch gestecktes Ziel, für dessen Erfüllung man mit 26 geplanten Vorträgen (24 sind schließlich gehalten worden) und sieben Posterpräsentationen in zwei Tagen bei den Teilnehmer/innen bis an und über die Grenze konzentrierter Aufnahmefähigkeit gegangen war. Dabei wird die Annahme "je größer die Anzahl an Präsentationen, desto höher auch der Erkenntnisgewinn" vor allem dann zum Trugschluss, wenn die inhaltliche Ausrichtung der Vorträge das anvisierte Ziel nicht erreicht.

Deutlich hervorzuheben ist, dass THOMAS KNOPF (Tübingen) die Tagung mit seinem Beitrag zur Wirtschaft der Latènekultur als ‚Embedded Economy‘ richtungsweisend eingeleitet hat. Knopf vertrat unter Bezugnahme auf die Embedded Theory Karl Polanyis die Meinung, dass latènezeitliches ökonomisches Handeln in andere gesellschaftliche Praktiken eingebettetes gewesen sei. Daraus würde sich für die archäologische Re-Konstruktion latènezeitlichen Wirtschaftens ergeben, dass wirtschaftliche Praktiken nicht losgelöst von sozialen, politischen oder religiösen Phänomenen gedacht werden können.3 Wird nun die Annahme hinzugenommen, dass Stammesgesellschaften generell durch eine mythischen Weltanschauung charakterisiert gewesen sind, kann urgeschichtliches wirtschaftliches Handeln keinesfalls auf die Sicherung und Steigerung elementarer und materieller Bedürfnisse reduziert werden – so Knopf. Zwangsläufig müsste unter dieser Prämisse die Geschichte von der Latènekultur eine andere sein als die von einer durch Geldwirtschaft, Fernhandel und zentrale Märkte bestimmten Gesellschaft. Die Erzählung einer solchen alternativen Geschichte steht aber noch aus.

Als erster von drei nicht aufeinander folgenden Vorträgen formulierte ANDREAS SCHÄFER (Bamberg) sein Unbehagen gegenüber der gültigen Deutung, dass gerade die Spätlatènekultur als Zeit der wirtschaftlichen Innovationen und Veränderungen zu begreifen sei. Schäfer und später auch PHILIPPE BARRAL (Besançon) in Zusammenarbeit mit DAVID LALLEMAND (Yzeure), NATALIE VENCLOVÀ und JIRÍ MILITKÝ (beide Prag) und zuletzt STEPHANE MARION (Metz) hielten dagegen, dass doch eher für das 3. Jh. v.Chr. Daten vorliegen, die für eine wirtschaftliche Entwicklung in der Latènekultur sprechen. Damit gewann die bereits von Vladimir Salac geäußerte These an Plausibilität, dass die offenen Großsiedlungen wie Roseldorf (Österreich) und Nemcice (Tschechien) als Wirtschaftszentren anzusprechen sind, wohingegen die Oppida als politische Orte beschrieben werden sollten.4 Schäfer ging zudem auf die Frage nach dem Ende der Süddeutschen Oppida ein und hat in diesem Zusammenhang die ebenfalls schon länger in der Diskussion stehende Annahme gestärkt5, dass das Ende der Oppida auf eine wirtschaftliche Krise zurückzuführen sei. Für eine zukünftige Modellierung der Entwicklungsdynamik vom 3. bis 1. Jh. v.Chr. wünschenswert ist nun, dass die vorgetragenen Ergebnisse und Ideen mit Wirtschaftstheorien verbunden werden, die auf die Etablierung von politischen und sozialen Institutionen zur Bündelung wirtschaftlicher Ressourcen abheben (Neue Institutionenökonomie).

In den Vorträgen von GILLES PIERREVELCIN (Wittenstein), SEBASTIAN FÜRST (Mainz), ANNE BARON (Rennes), OLIVIER BUCHSENSCHUTZ (Paris), STEFANIE WEFERS (Mainz) und BERTRAND BONAVENTURE (Lyon) stand das Thema Handel und Handelswege zur Debatte. Methodisch wurde sowohl auf ein traditionelles archäologisches Instrumentarium wie der Kartierung von Fundkategorien unterschiedlicher Provenienz (Pierrevelcin), der Lokalisierung von Gewinnungsgebieten und Verbreitungspunkten eines Rohstoffes (Baron), dem Erfassen und Verbinden typologischer Kriterien mit Fundkontexten (Buchsenschutz) als auch auf neue naturwissenschaftliche Analysen wie petrographische Untersuchungen bei Mühlsteinen (Wefers) oder Raman-Spektroskopie im Fall von Korallen bzw. korallenähnlichen Materialien gesetzt. Mit den jeweils verschiedenen Zugängen wurden durchaus überzeugend Absender und Empfänger von Tauschhandlungen bestimmt. Allerdings sind darüber die Modelle aus dem Blickfeld geraten, auf welche Weise der Austausch wohl abgewickelt worden ist, als „down-the-line exchange“ oder „long-distance trade“ zum Beispiel.6

Die Beiträge von GUNTRAM GASSMANN (Tübingen) und GÜNTHER WIELAND (Karlruhe) sowie von MANUEL ZEILER (Bochum) waren der Gewinnung und Verhüttung von Eisenerzen gewidmet. Intensive Prospektionen hatten im Nordschwarzwald 70 Verhüttungsplätze der Späthallstatt- und Frühlatènezeit ergeben. Die Ergebnisse der archäologischen Untersuchung einiger dieser Plätze führten Gassmann und Wieland zu den Thesen, dass 1. die Kenntnis der Eisentechnologie vollentwickelt als Technologieimport aus dem Süden in diese Region gelangt sein muss und 2. zumindest für Neuenbürg mit einer weit über den Eigenbedarf hinausreichenden Stahlerzeugung gerechnet werden kann. Welche möglichen Konsequenzen daraus für die Interpretation der Wirtschafts- und Sozialstrukturen dieser Zeit zu ziehen sind, ließen die Referenten offen. Demgegenüber stellten im weiteren Verlauf der Tagung SABINE SCHADE-LINDIG und FRANK VERSE die These auf, dass gerade die Montanwirtschaft zumindest im Lahn-Sieg-Gebiet für die Entstehung neuer Kulturräume an der Mittellatènezeit gesorgt hat.

Zeiler stellte wiederum die Frage, ob latènezeitliche Montanlandschaft im Siegerland als Hinterland eines großräumigeren Wirtschafts- und Sozialraumes angesehen werden müssen, da die Untersuchungen keine Hinweise auf Gräberfelder und „Zentralorte“ ergeben hatten.

ELIZABETH JEREM (Budapest) lieferte eine Zusammenfassung der neusten Forschungen zur Früh- und Mittellatènezeit im Karpatenbecken zielte darauf ab, dass von einer fortlaufenden Siedlungsausbreitung mit einhergehender besserer Ressourcennutzung und Wirtschaftlichkeit ausgegangen werden muss, die vor allem auf die Bildung organisierter Netzwerke zurückzuführen sei. Dagegen nahm sich PETER TREBSCHE (Asparn an der Zaya) einer deutlich kleineren Forschungslandschaft an. Er ordnete alt bekannte und neu entdeckte Fundstellen in Ostösterreich einer bestehenden Siedlungstypologie (Zentralsiedlungen, Großsiedlungen, Dorf, Weiler und Einzelhof) zu und orientierte sich dafür an Kriterien wie Siedlungsgröße, Befestigungsweise, Bebauungs- und Wirtschaftsstruktur. Damit hat Trebsche eine gute Grundlage für weiterführende Forschungen geschaffen, die zukünftig die gesellschaftlichen Verhältnisse dieses Sozialraumes in den Blick nehmen müssen.

Die vier Vorträge von ANDREAS G. HEISS zusammen mit MARIANNE KOHLER-SCHNEIDER (beide Wien), MANFRED RÖSCH (Gaienhofen), JULIAN WIETHOLD (Metz) und ANGELA KREUZ (Wiesbaden) waren den Themen Ackerbau und Umwelt gewidmet. Über archäobotanische Untersuchungen wurden für verschiedene Regionen die verwerteten Kultur- und Wildpflanzen erfasst und Hinweise auf den Import von Lebensmitteln geliefert. Unter der Grundannahme, dass auch oder gerade Speisen und Getränke Ausdruck sozialer Hierarchisierung sind, bieten solche Untersuchungen unter Berücksichtigung verschiedener Siedlungstypen Aufschlüsse über gesellschaftliche Differenzierungen, die aber so noch formuliert werden müssen.

Aussagen zur Nahrungsmittelversorgung und Subsistenzstrategien der Oppida stellten auch ALŽBETA DANIELISOVÁ (Prag) und MARIA HAJNALOVÀ (Nitra) zur Diskussion. Die Referentinnen gingen auf Grundlage umweltanalytischer und paläoklimatischer Forschungsergebnisse in Verbindung mit den archäologischen Daten von der Existenz einer Vielzahl kleinerer landwirtschaftlicher Siedlungen im Hinterland der Oppida aus, über die die Bevölkerung in den Oppida mit Nahrung versorgt worden waren. Offen blieb, inwieweit die Organisation dieser Versorgung auf Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnissen oder auf der Etablierung entsprechender politischer und rechtlicher Institutionen basierte.

Eine interessante Idee zur kulturellen Diversität der Latènekultur formulierte CLÉMENT FÉLIU (Strasbourg). Gerade die Spätlatènekultur wird seit Déchelette als einheitlicher Kulturraum verstanden. Féliu vertrat nun die These, dass für die Gebiete der Leuker und Mediomatriker von ganz unterschiedlichen wirtschaftlichen Integrationsgraden innerhalb eines Tauschnetzwerkes auszugehen sei. Anlass für diese Deutung lieferten ihm die abweichenden Daten für die Verteilung von Rohstoffen und mediterranen Importen sowie der jeweils spezifische Münzumlauf bei ähnlichen Siedlungsmustern (Oppida, vici etc.). Hinsichtlich der Überprüfung des Modells von Déchelette sollten auch andere Regionen auf Grundlage dieses Gedankens noch einmal in Augenschein genommen werden. Auf diese Weise könnte auch an Fragen zu Verbindungen und Wechselwirkungen zwischen der Latènekultur und angrenzenden Räumen angeknüpft werden, die von JOANNA EWA MARKIEWITZ (Wroclaw) angesprochen worden sind. Der letzte hier zu besprechende Vortrag von DAVID G. WIGG-WOLF (Frankfurt a.M.) galt den neu entdeckten und neu aufgearbeiteten Münzen vom Donnersberg. Besonders bedeutend für Wigg-Wolf war der Fund eines Prägestempels mit dem Motiv des treverischen Quinares mit der „eckigen Nase“, der die bereits bestehende Annahme einer dezentralen spätlatènezeitlichen Münzprägung bestätigte.

Für ein Fazit soll noch einmal auf den Vortrag von Knopf Bezug genommen werden. Wie bereits erwähnt hatte Knopf mit seiner Idee von einer Embedded-Economy der Latènekultur Anschluss an die Embedded Theory von Polanyi gesucht. Polanyis Ideen waren in den 1960er-Jahren prägend für die Wirtschaftsethnologie. Mit der Embedded Theory stellte er der bis dahin gültigen formalistischen Theorie eine alternative, substantivistische Theorie gegenüber und hielt den Vertretern eines strengen Formalismus eine unreflektierte Übertragung von Grundannahmen kapitalistischer Wirtschaftstheorien auf vor-industrielle Gesellschaften vor, da diese in ihren Ethnographien wirtschaftliche Handlungen allein als Mittel-Zweck-Bestimmung beschrieben.7

Eine ähnliche Auseinandersetzung wurde in der Alten Geschichte geführt. Zurückgehend auf eine Kontroverse, die am Beginn des 20. Jh. zwischen dem Volkswirtschaftler Karl Bücher und dem Althistoriker Eduard Meyer geführt wurde und als Modernisten/Primitivisten-Debatte in die Forschungsgeschichte eingegangen war, nahm die Diskussion um den allgemeinen Charakter der antiken Wirtschaft schließlich mit Erscheinen der Streitschrift „The Ancient Economy“ von Moses Finley an Fahrt auf.8 Auch Finley stellte sich mit Bezug auf Polanyi gegen einen assoziativen Rückgriff auf moderne Volkswirtschaftstheorien, um antike Ökonomien zu beschreiben. Stattdessen forderte er eine für die Antike angemessenen Terminologie ein, mit der soziale und moralische Kategorien wie das Geben und Nehmen oder das gute Leben stärker hervorgehoben werden könnten.

Diese Auseinandersetzung zwischen Formalisten und Substantivisten, zwischen Modernisten und Primitivisten erreichte in den 1960er- und 1970er-Jahren ihren Höhepunkt. Als Nachwirkung dieser Debatten ist sowohl in der Ethnologie als auch in der Alten Geschichte eine explizite Reflexion von Wirtschaftstheorien bis heute zu verzeichnen.

In der deutschsprachigen Ur- und Frühgeschichtsforschung hat es dagegen eine solche Kontroverse nie gegeben. Zwar sind vereinzelt Modelle wie Polanyis Tauschsysteme (Reziprozität, Redistribution, Markt-Tausch) oder auch das Zentrum-Peripherie-Modell von Immanuel Wallerstein zur Beschreibung prähistorischer Handlungspraktiken aufgegriffen worden, eine offen geführte Diskussion über wirtschaftsarchäologisches Denken hat aber bisher nicht stattgefunden.9 Versuche, eine solche Debatte anzustoßen10, sind bisher buchstäblich im Sande verlaufen. Auch mit der Tagung in Otzenhausen wurde kein Schritt in diese Richtung gemacht. Ich möchte fast behaupten im Gegenteil. Während ein Großteil der Beiträge zum Kongress „Wirtschaftsarchäologie im ostkeltischen Raum“ noch als überblicksartige Panoramen konzipiert waren, standen in Otzenhausen entweder regionale Forschungslandschaften oder Fragen zur Rohstoffgewinnung, Verarbeitung sowie Verbreitung und daraus abzuleitende Aussagen zu Verkehrswegen und Handelsrichtungen im Fokus der Vorträge. Dabei konzentrierte man sich auf die deskriptive Beschreibung der archäologischen Quellen, deren Gewinnung, Klassifizierung und naturwissenschaftliche Analyse. Nur selten wurden kulturhistorische Deutungen versucht, wie es Knopf und Schäfer taten.

Nicht zu bestreiten ist der Wissensgewinn, der mit dem Einsatz naturwissenschaftlicher Analyseverfahren verbunden ist, um an Informationen über Materialzusammensetzungen, Herstellungstechniken und Objektverbreitungen zu kommen. Werden aber die darüber hinausgehenden theoretisch zu reflektierenden Deutungen vernachlässigt, kann die Ur- und Frühgeschichte für sich lediglich in Anspruch nehmen, Technik-, Anbau-, Ernährungs- und Transportgeschichte zu schreiben. Steht dagegen die Wirtschaftsgeschichte im Fokus archäologischen Forschens, müssen Überlegungen einbezogen werden, die über das Repertoire archäologischer Methoden mit Ergänzung durch naturwissenschaftliche Untersuchungen hinausgehen. Meines Erachtens ist der erste Schritt in diese Richtung, die jeweilige Vorstellung vom Menschsein explizit zu machen, die a priori jeder Wirtschaftstheorie zu Grunde liegt, sei es die Vorstellung vom Menschen als rational handelndes Wesen, dessen Motivation in der Befriedigung von Bedürfnissen und dem Streben nach Glück zu suchen ist (Klassische Politische Ökonomie), sei es die Vorstellung vom Menschen als historisches Subjekt, dessen Wesen und Handlungen sich in Abhängigkeit zu Gesellschaftsformation entwickeln (Marxistische Wirtschaftstheorie) oder sei es das Bild vom Menschen, der umgeben von einer komplexen Umwelt und durch begrenzte kognitive Fähigkeiten mit Informationsasymmetrien und Unsicherheiten umgehen muss, und diese nicht nur beim Wirtschaften, sondern in jeder Hinsicht, durch Institutionen und Regeln, zu lenken versucht (Neue Institutionenökonomie). Die Konsequenzen für die Interpretation archäologischer Quellen liegen auf der Hand und Thomas Knopf hat es vorgeführt. Mit seinem Bezug auf die Embedded Theory von Polanyi hat Knopf als einziger Referent der Tagung in Otzenhausen mit der Vorstellung gebrochen, der Mensch sei qua natura ein durch und durch rational handelndes Wesen (homo oeconomicus). Nun stehen durchaus auch noch andere neue Wirtschaftstheorien zur Verfügung – beispielsweise aus der Spieltheorie oder der Neuen Institutionenökonomie –, um auf die Verwendung überholter Wirtschaftstheorien aus dem 18. Jh. aufmerksam zu machen und um mit neuen Grundannahmen andere Modelle latènezeitlichen Wirtschaftens zu entwickeln. Die Tagung in Otzenhausen hat aber gezeigt, dass so modern die europäische Archäologie in der Anwendung naturwissenschaftlicher Methoden auch ist, so antiquiert ist sie in der theoretischen Reflexion. Damit kann der These von Raimund Karl durchaus zugestimmt werden, nach der „in der deutschsprachigen Archäologie […] die Meinung vor[herrscht], dass das wirklich Wichtige in der archäologischen Wissenschaft die Praxis ist. Theorien werden entweder als weitgehend unnötig empfunden oder sogar als gefährliche Spekulation abgelehnt“11. Hinter dieser Ablehnung steht oft ein Anspruch auf Wahrheitserkenntnis, der nicht nur zweifelhaft ist12, sondern der auch dazu führen kann, dass die Ur- und Frühgeschichte – im speziellen ist hier die Eisenzeitarchäologie gemeint – den Anschluss an aktuelle Debatten in anderen Geschichts- und Geisteswissenschaften verliert, in diesem Fall zum Beispiel der Wirtschaftsgeschichte. Dabei hätte die Ur- und Frühgeschichte als Fach durchaus zu Themen wie der Vielfalt von menschlichen Krisen, aber vor allem auch zu deren Überwindung Geschichte[n] beizutragen und könnte damit aus akademischen Spezialdiskursen hinaustreten. In diesem Sinne bleibt zu wünschen, dass der geplante Tagungsband eine Erweiterung in Richtung kulturhistorischer Deutung der vorgestellten und in vielerlei Hinsicht auch beeindruckenden Ergebnisse archäologischer Forschung erfährt, um schließlich doch noch dem im Vorfeld gesteckten Ziel einer sozio-ökonomischen Deutung der Latènekultur gerecht zu werden.

Konferenzübersicht:

Thomas Knopf, Embedded Economy – Ökonomie als kulturelles System: eine Annäherung an die Latènezeit.

Andreas Schäfer, Aufstieg und Niedergang der keltischen Welt? Der Beitrag der Wirtschaftsarchäologie zur Erforschung der Oppidazeit.

Gilles Pierrevelcin, Voies de passage et lieux de transit entre la région Rhin-Moselle et la Bohême.

Sebastian Fürst, Latènezeitlicher Korallenhandel in Mitteleuropa.

Anne Baron, Exploitation des roches noires à l’âge du Fer: vers une restitution des systèmes de production et de diffusion.

Olivier Buchsenschutz, Une enquête sur la production et la diffusion des meules de l’âge du Fer en France: méthodologie et premiers résultats.

Stefanie Wefers, Schwarzes Gold der Eifel.

Bertrand Bonaventure, Une approche des réseaux économiques régionaux au Ier siècle avant J.-C.: l’exemple des céramiques de stockage du Nord-Est de la Gaule.

Guntram Gassmann / Günter Wieland, Frühkeltische Eisenproduktion im Nordschwarzwald: Montanarchäologische Forschungen im Neuenbürger Erzrevier 2004-2011.

Manuel Zeiler, Zur latènezeitlichen Montanlandschaft im Siegerland.

Elisabeth Jerem, Neue Angaben zum Wirtschaftssystem der Früh- und Mittellatènezeit im Karpatenbecken aufgrund interdisziplinärer Forschungen.

Peter Trebsche, Siedlungs- und Wirtschaftsstruktur latènezeitlicher Flachlandsiedlungen in Ostösterreich.

Alexander G. Heiss / Marianne Kohler-Schneider, Archäobotanische Untersuchungen zu Ackerbau und Umwelt latènezeitlicher Siedlungen in Niederösterreich.

Manfred Rösch / Eleske Fischer / Jutta Lechterbeck / Gegeensvud Tserendorj / Lucia Wick, Landnutzung und Nahrungsproduktion in Südwestdeutschland während der späten

Eisenzeit aufgrund von botanischen onsite- und offsite-Daten.

Julian Wiethold, Ackerbau und Umwelt der Latènezeit in Lothringen und seinen Nachbarregionen: archäobotanische Ergebnisse von Flachlandsiedlungen und oppida.

Angela Kreuz, Iron Age agriculture – a potential source of wealth? Archaeobiological evidence from Hesse, Germany.

Philippe Barral / David Lallemand, Les agglomérations ouvertes du IIe siècle av. J.-C. à spécialisation artisanale et commerciale: deux exemples du Centre-Est de la France, Verdun-sur-le-Doubs (Sâone-et-Loire) et Varennes-sur-Allier (Allier).

Clément Féliu, Structures sociales et économiques dans deux cités du nord-est de la Gaule (Leuques et Médiomatriques) à La Tène finale.

Alžbeta Danielisová / Maria Hajnalová, Subsistence strategies of the late La Tène central sites.

Joanna E. Markiewicz, Settlement structures and economic strategies on the chosen sites in the middle Odra and middle Elbe basins in the Pre-Roman Iron Age.

Sabine Schade-Lindig / Frank Verse, Neues zur latènezeitlichen Siedlungsentwicklung im Umfeld von Lahn und Sieg.

Natalie Venclová / Jirí Militký, Glassworking, coinage and local identities in the Middle Danube region in 3rd cent. BC.

David G. Wigg-Wolf, Die Fundmünzen von Donnersberg: neue Erkenntnisse.

Stephane Marion, De la consommation à la production: une mutation économique au IIIe siècle.

Anmerkungen:
1 Auszug aus dem Text der Tagungsankündigung: URL: <http://rgzm.academia.edu/MartinSch%C3%B6nfelder/Talks/52350/Production-Distribution-_Economy_Settlement_and_economic_processes_in_the_La_Tene_period_Program_overview> (15.11.2011).
2 Claus Dobiat / Susanne Sievers / Thomas Stöllner (Hrsg.), Dürrnberg und Manching. Wirtschaftsarchäologie im ostkeltischen Raum. Akten des Internationalen Kolloquiums in Hallein / Bad Dürrnberg vom 7. bis 11. Oktober 1998, Bonn 2002.
3 Karl Polanyi, The Great Transformation: The Political and Economic Origin of Our Times, Boston 1944.
4 Vladimir Salac, Vom Oppidum zum Einzelgehöft und zurück – zur Geschichte und dem heutigen Stand der Latèneforschung in Böhmen und Mitteleuropa. In: Alt-Thüringen 38 (2005) S. 279-300.
5 Z.B. Susanne Sievers, Manching. Aufstieg und Niedergang einer Keltenstadt. In: Berichte der RGK 80 (1999) S. 5-24; Sabine Rieckhoff, Der Untergang der Städte. Der Zusammenbruch des keltischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems. In: Claus Dobiat / Susanne Sievers / Thomas Stöllner (Hrsg.), Dürrnberg und Manching, Wirtschaftsarchäologie im ostkeltischen Raum. Akten des Internationalen Kolloquiums in Hallein / Bad Dürrnberg vom 7. bis 11. Oktober 1998, Bonn 2002, S. 359-380.
6 Vgl. Paul Renfrew, Trade as Action at a Distance: Questions of Integtration and Communication. In: Jeremy A. Sabloff/Corinne Lamberg-Karlovsky (Hrsg.), Ancient Civilization and Trade, Albuquerque 1975, S. 3-60.
7 Hierzu auch die entsprechenden Kapitel in Martin Rössler, Wirtschaftsethnologie. Eine Einführung. 2. überarb. und erw. Aufl. Berlin 2005.
8 Moses Finley, The Ancient Economy, Berkeley / Los Angeles 1973.
9 Zur Übernahme der Tauschmodelle von Polanyi siehe Susan Frankenstein / Michael Rowlands, The Internal Structure and Regional Context of Early Iron Age Society in South-Western Germany. In: Bulletin of the Institute of Archaeology of London 15 (1978) S. 73-112; Zur Reflektion des Zentrum-Peripherie-Modells in der Ur- und Frühgeschichte Christoph Kümmel, Frühe Weltsysteme. Zentrum und Peripherie-Modelle in der Archäologie. Tübinger Texte, Materialien zur Ur- und Frühgeschichtlichen Archäologie 4, Rahden/Westf. 2001.
10 Z.B. Andreas Zimmermann, Auf der Suche nach einer Wirtschaftsarchäologie. Gesellschaften zwischen sozialer Harmonie und individuellem Gewinnstreben. In: Birgit Gehlen / Martin Heinen / Andreas Tillmann (Hrsg.), Zeit-Räume. Gedenkschrift für Wolfgang Taute 1. Archäologische Berichte 14, Bonn 2001, S. 19-31; Otto Urban, Gedanken zu einer Wirtschaftsarchäologie. In: Claus Dobiat / Susanne Sievers / Thomas Stöllner (Hrsg.), Dürrnberg und Manching. Wirtschaftsarchäologie im ostkeltischen Raum. Akten des Internationalen Kolloquiums in Hallein / Bad Dürrnberg vom 7. bis 11. Oktober 1998, Bonn 2002, S. 27-32.
11 Raimund Karl, Wissenschaftstheorie als Ursache von Hierarchiebildung in der deutschsprachigen Archäologie. In: Archäologische Informationen 33/1 (2010) S. 19-29, bes. S. 19.
12 Hierzu zuletzt die Internationale Tagung „Der Archäologe als Erzähler“ in Leipzig 29. bis 30. Juni 2009, die als Schwerpunktthema in der Ethnographisch-Archäologischen Zeitschrift 51, 2010 publiziert wird (i. Dr.).


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